25 February 2003
Sextourismus
- Indien wehrt sich gegen die Kinderschänder.
Von u Peter Isenegger, Panjim und Bild
Reuters.
German
Indien hat dem Missbrauch von Kindern durch Touristen den
Kampf angesagt. Besonders aktiv sind Behörden und Hilfsorganisationen
in Goa, das als «Traumdestination» für
Pädophile gilt.
Eigentlich wollte der Geschäftsmann aus Europa auf
seinem Zwischenhalt in Bombay (Mumbai) bei einem Spaziergang
am Juhu Beach nur etwas frische Luft schnappen. Doch kaum
aus seinem Hotel getreten, wurde er umringt von einer ganzen
Horde von Kindern in verschlissenen, schmutzigen Kleidern,
die ihn immer wieder am Ärmel zupften und ein Bakschisch
verlangten. Die Kinder liessen sich nicht abwimmeln: weder
durch eine freundliche Aufforderung noch durch einen gestrengeren
Ton. Der Fremde war denn auch erleichtert, als ein gut gekleideter
Inder auf ihn zutrat und die Kinder mit knappen Worten anwies,
den Ausländer allein zu lassen. Allein blieb er allerdings
nicht. Jetzt nämlich begann der gut gekleidete Inder
an seinem Ärmel zu zupfen: «Möchten Sie
ein junges Mädchen? Ein sehr junges Mädchen. Garantiert
nicht älter als acht oder zehn Jahre?» Der Geschäftsmann,
der nichts anderes wollte, als am Juhu Beach Luft schnappen,
blieb angewidert stehen und forderte den Mann auf, ihn in
Ruhe zu lassen. Doch der gut gekleidete Inder stand in Sachen
Hartnäckigkeit den in Lumpen gehüllten Bettlern
in nichts nach: «Ach so, Sie möchten lieber einen
jungen Knaben, auch den kann ich Ihnen besorgen.»
Der Polizei melden
Daraufhin wurde der harmlose Spaziergänger ziemlich
laut, und erst jetzt wich der junge Mann von seiner Seite.
Ein paar Meter weiter wurde der Europäer von einem
Händler angesprochen. «Seien Sie vorsichtig»,
raunte er dem Fremden zu, «der Mann, der Sie eben
angesprochen hat, ist ein Polizist in Zivil.» Wäre
dieser Geschäftsmann nach Goa weitergeflogen, dann
hätte er vielleicht an der Wand der Ankunftshalle im
Flughafen Dabolim ein Plakat entdeckt. Ein Plakat mit einer
«Botschaft von Goas Kindern». «Lieber
Tourist, geniessen Sie Sonne, Sand und Meer und helfen Sie
uns, Goa von Pädophilen freizuhalten» steht auf
dem mit einer Kinderzeichnung geschmückten Plakat,
das die Touristen auch auffordert, «verdächtiges
Verhalten der Polizei zu melden». Der Polizist in
Zivil und die Plakate in Goa sind die jüngsten Waffen
im Kampf Indiens gegen die Sextouristen. Und für die
Soziologin Nishtha Desai, Leiterin des Kinderhilfswerks
Children's Rights in Goa (CRG), hat dieser Kampf «keinen
Moment zu früh» eingesetzt. Es sei schwierig,
das Problem zu quantifizieren, meint Nishtha Desai. Sie
schätzt, dass sich während der Touristensaison,
die in Goa von Anfang November bis April dauert, «mindestens
hundert Pädophile in unserem kleinen Bundesstaat herumtreiben».
Strassenkinder
Bis Mitte der Neunzigerjahre und obwohl zu dieser Zeit
Goa in pädophilen Kreisen längst als «Traumdestination»
galt und als solche im Internet angepriesen wurde, sprach
kaum jemand in Goa offen über dieses Problem. «Das
mochte seine Gründe darin haben», meint die Soziologin
Nishtha Desai, «dass die meisten Opfer nicht einheimische
Kinder waren, sondern die Kinder armer Wanderarbeiter aus
dem benachbarten Bundesstaat Karnataka oder aus dem weiter
entfernten Rajasthan, welche hofften, während der Touristensaison
in Goa Arbeit und ein Auskommen zu finden.» Es sind
denn auch diese Strassenkinder und die jugendlichen Strandverkäufer,
die am meisten der Gefahr sexueller Ausbeutung ausgesetzt
sind. Mit kleinen Geschenken, mit Geld oder neuen Kleidern
werden die Kinder von den Pädophilen in ihr Hotelzimmer
oder ihre Wohnung gelockt.
Aufklärungsarbeit
Mitte der Neunzigerjahre rückte das Pädophilenproblem
schlagartig ins Bewusstsein der Bevölkerung Goas. Damals
wurde der 76-jährige Angloinder Freddy Peat zu lebenslänglicher
Haft verurteilt. Peat, ein respektierter Mann, führte
in Goa ein Kinderheim. In Tat und Wahrheit missbrauchte
der pädophil veranlagte Peat die ihm anvertrauten Kinder
sexuell und vermittelte gegen Bezahlung Kinder an pädophile
Touristen. Freddy Peat ist einer der wenigen Pädophilen,
die in Goa im Gefängnis sitzen. Gegen mehrere andere
wurden Untersuchungen eingeleitet. In den meisten Fällen
schafften es die Beschuldigten aber, sich vor ihrer Festnahme
abzusetzen oder nach abgeschlossener Untersuchung gegen
Kaution freizukommen und dann das Land heimlich zu verlassen.
Die Plakataktion, welche sich an die Touristen richtet,
ist nur Teil eines ganzen Programms, mit welchem Nishtha
Desais Organisation den pädophilen Sextourismus von
Goa fern halten will. Children's Rights in Goa (CRG) führt
Seminare und Workshops mit der Bevölkerung durch, um
die Eltern auf das Problem aufmerksam zu machen. CRG gründete
auch Tagesschulen für die Kinder von Wanderarbeitern,
wo die Schüler auf die Gefahren des sexuellen Missbrauchs
hingewiesen werden. Schliesslich arbeitet die Organisation
eng mit der Polizei zusammen, um auch bei den Ordnungshütern
das Bewusstsein zu schaffen, dass Kindsmissbrauch durch
Touristen in Goa ein Problem ist, das – genauso
wie etwa der Drogenmissbrauch – die Aufmerksamkeit
der Polizei erfordert. Die Soziologin Nishtha Desai ist
überzeugt, dass ihre Arbeit beginnt, Früchte zu
tragen: «Durch unsere Kampagne ist dieses Problem
ins Bewusstsein der Bevölkerung und der Touristen gerückt.
Mitbürgerinnen und Touristen sind sensibilisiert und
melden auch regelmässig auffälliges Verhalten
von Touristen oder stellen Verdächtige direkt zur Rede.»
Verunsicherte Touristen
«Dass die Kampagne Früchte trägt, wissen
wir auch aus einem anderen Grund», sagt Nishtha Desai.
«Von verschiedener Seite ist uns zugetragen worden,
dass viele völlig harmlose Touristen, die ein Herz
für Kinder haben, sich nicht mehr getrauen, einheimische
Kinder zu einem Eis oder zu einer Mahlzeit in eine der vielen
Strandkneipen einzuladen.» Das mag zwar für die
harmlosen Touristen und die Kinder schmerzlich sein. «Aber»,
so glaubt Nishtha Desai, «wenn dadurch auch nur ein
Kind vor sexuellem Missbrauch verschont wird, dann ist dieser
Preis nicht zu hoch.» Wirklich zufrieden allerdings
kann Nishtha Desai erst dann sein, wenn die einschlägigen
Internetwebseiten Goa nicht mehr als «Traumdestination»
anbieten, sondern Pädophilen explizit vom Besuch Goas
abraten.
«Lieber Tourist, geniessen Sie Sonne, Sand und Meer
und helfen Sie uns, Goa von Pädophilen freizuhalten.»
Jugendliche demonstrieren gegen den sexuellen Missbrauch
von Kindern.
«Die meisten Opfer sind Kinder armer Wanderarbeiter.»
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